Freitag, 30. Mai 2014

Tent Of Nations oder Der Versuch nicht zu hassen

Die Familie Nassar hat eigentlich ziemliches Glück und einen schlauen Großvater gehabt. 1916 kaufte er - damals noch im osmanischen Reich - Grund und Boden und erhielt dafür amtliche Papiere. Eigentlich nichts ungewöhnliches, denkt man sich. Doch dass jemand in den palästinensischen Gebieten, also der Westbank und dem Gaza-Streifen, Dokumente hat, die belegen, dass der Boden, auf dem man seit Generationen lebt einem wirklich gehört, ist selten. Früher ging das in diesen Breitengeraden per Handschlag. Ein schriftlicher Vertrag war selten. Heute ist er Gold wert.

Stein am Eingang des Geländes
Auf dem Hügel (950m über NN) im judäischen Bergland, etwas südlich von Bethlehem steht das "Tent Of Nations". Die palästinensisch-christliche Familie Nassar versucht unter diesem Namen Friedensarbeit zu leisten. Jedes Jahr kommen viele Volontäre und Unterstützer aus aller Welt Länder, die dabei helfen die Ernte einzuholen - von Oliven über Trauben bis Zwiebeln ist alles dabei - neue Bäume pflanzen und Begegnungen mit vielen anderen Menschen zu haben. Auch jüdische Israelis kommen immer wieder. Es ist der Familie Nassar wichtig zu wissen, wer da "auf der anderen Seite" ist und sie wollen zeigen, wer sie sind. Sie möchten mit ihren Nachbarn in Frieden leben und Begegnungen haben, hier im Tent Of Nations, dem "Zelt der Nationen".

"Die andere Seite" ist hier auch gar nicht weit weg, da die Hügel rund um das Tent Of Nations vor allem mit jüdischen Siedlungen und israelischen Militärposten bebaut sind. Leider kommen diese Nachbarn jedoch nur selten bis gar nicht vorbei und wenn, dann nicht, um einander friedlich zu begegnen und sich kennen zu lernen.
Vor 23 Jahren, 1991, hat die Militärbehörde beschlossen, dass das Land der Familie Nassar nun Staatsland sei. Sofort zog die Familie los, um vor dem zuständigen Gericht, dem israelischen Militärgericht, dagegen zu klagen. Der Richter war wohl etwas verwundert, dass sie wirklich ein Dokument hatten, welches bestätigte, dass sie die rechtmäßigen Besitzer des Hügels sind und so bekamen sie schließlich Recht und ihr Land durfte nicht enteignet werden. Doch die radikalen jüdischen Siedler ringsherum versuchten dennoch sie zu vertreiben. Immer wieder gab es versuche eine Straße mitten durch ihr Gelände bauen zu lassen. Vermutlich, um dann einen so genannten "illegalen Außenposten" an dieser zu bauen, also eine kleine Siedlung mit einfachen Wohncontainern, die zwar gegen das israelische Gesetz verstoßen, jedoch vom Staat bzw. Militär meist geduldet werden. Doch auch dagegen setzten sie sich erfolgreich, juristisch zur Wehr.
2002 war der bisher letzte Angriff, leider auch einer der stärksten. Radikale Siedler zerstörten 250 Olivenbäume. Doch es gab einen Lichtblick. Eine jüdische Organisation aus England bekam davon mit und spendete 250 neue Bäume, die sie prompt auch einpflanzte.
Straßensperre mal anders: Große Felsen auf der Straße.
Während der zweiten Intifada (2000-2005) wurde aus "Sicherheitsgründen" eine der Straßen zum Hügel vom Militär versperrt. Bis heute ist dies nicht aufgehoben und die Familie muss einen Umweg von 20km fahren, wenn sie nach Bethlehem wollen, wo sie ein Haus haben, da die Kinder dort zur Schule gehen und sie Dinge auf dem Markt verkaufen können.
Wäre das alles, nun gut, vielleicht könnte man es noch aushalten. Aber damit nicht genug. Vor vielen Jahren stellten die Nassars Zelte auf ihrem Gelände auf, um darin Volontäre unterzubringen. Promt kam ein israelische Beamter vorbei und erklärte, dass dies eine illegale Baumaßnahme wäre (Zelte!). Daoud Nassar fragte, ob das für alle gelten würde, für Israelis und Palästinenser. Die Antwort war ja. Daraufhin fragte er, warum denn dann auf dem Hügel gegenüber die Siedler einen illegalen Außenposten bauen dürften, woraufhin die Antwort war, dass dies nicht sein Thema wäre. Wieder zogen sie vor Gericht. Immer wieder neue Prozesse ziehen sich nun schon seit 23 Jahren hin. 10 Jahre vor dem Militärgericht. Und seitdem vor dem Obersten Gericht Israels.
Aber auch anderweitig werden keinerlei Baugenehmigungen von der israelischen Militärverwaltung erteilt. Zum Glück haute einer ihrer Vorfahren mehrere Höhlen in den Stein, in denen bis heute Volontäre wohnen und die als Aufenthaltsräume dienen. Aber auch diese Höhlen sollen illegal sein.
Dazu bekommen sie weder Wasser noch Strom geliefert. Seit 2 Jahren haben sie Solarzellen, die ein Deutscher anbrachte. Wasser bekommen sie aus riesigen Zisternen, die insgesamt bis zu 600.000 Liter Regenwasser fassen können. Sie schlagen sich durch, irgendwie.
Vor einiger Zeit kam ein Angebot von den Siedlern, dass sich die Nassars einen Betrag aussuchen könnten, zu dem sie das Gelände verkaufen wollen. Sie lehnten ab, aus Prinzip. Sie wollen ihre Mutter-Erde nicht aufgeben, ihren Erbbeseitz, den Traum eines Friedensprojektes, den schon ihr Vater hatte.
Sie sollen weg, offenbar mit allen Mitteln, egal wie, damit dies endlich "Staatsland" wird und hier eine Siedlung entstehen kann.

Unten im Tal standen die Bäume.
Und jetzt das Neuste. Letze Woche wurden 1500 Bäume einfach mit Bulldozern vom Militär plattgewalzt. Das Gelände auf dem sie standen sei Staatsland. Die Ankündigung dazu bekamen die Nassars nicht persönlich, sondern sie war einfach auf dem Feld abgelegt. Hätten sie sie übersehen, hätten sie Pech gehabt. Doch sie fanden sie und zogen rechtzeitig vor Gericht, doch der Abriss wurde dennoch einfach durchgezogen, illegal. Morgens um 4h kamen sie, die Menschen aus dem Nachbardorf merkten es und riefen an. Um 7:30h war der Spaß vorbei. Die Bäume alle weggeräumt, in einem Graben oder verscharrt.

Es kling, wenn ich so schreibe, wie ein schlechter Film, aber gestern war ich da, gemeinsam mit der Deutschen Erlöserkirche zum Solidaritätsbesuch.

Und es gibt auch immer wieder Lichtblicke. Viele gute Kontakte zu jüdischen Israelis, die sie unterstützen. Juden, die vorbeikommen, um mit zu helfen. Ein Siedler, der nach einem Besuch aus der Siedlung auszog und Friedensaktivist wurde. Und für nächste Woche hat sich ein Rabbi mit 10 Leuten aus einer der Nachbarsiedlungen angekündigt. Hoffen wir das es Verstehen bringt.
Und hoffen wir, dass die Nassars weiter solche Dinge sagen und vor allem leben, wie: "Wir weigern uns Feinde zu sein." "Ich möchte nicht meine Hand an den Pflug legen und zurückschauen." "Hassen ist leicht, aber wir wollen auf die Gewalt mit Liebe antworten." Und dabei ihr Ziel mehr und mehr Wirklichkeit wird: Brücken bauen zwischen Menschen.




Ein Jude und ein Palästinenser begegnen sich. Gebaut aus Scherben.

Bekämpfe Gewalt mit Liebe





Artikel Südwest Presse: http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Dann-rollten-die-Bulldozer;art4306,2615631

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