Sonntag, 30. März 2014

Alles eine Frage der Perspektive

Sicherlich haben einige von euch in den letzten Wochen etwas von dem neuen Gesetz mitbekommen, welches mitlerweile in Israel erlassen wurde. Vielleicht in den Nachrichten oder online.
Es geht darum, dass in Zukunft auch die Ultra-Orthodoxen (genannt: Charedim) zum Militär müssen. Bzw. zumindest ein Teil von ihnen. Man will langsam anfangen und dann nach und nach immer mehr einziehen, bis irgendwann nur noch die besten Tora/Talmud-Schüler nicht dienen müssen.
Klingt für unsere Ohren eigentlich sinnvoll. Gleiches Recht für alle. Doch dagegen gingen die Charedim auf die Straße. Mindestens 300.000 Leute (etwa 3,75% der Einwohner Israels - in Deutschland wären das etwa 3.000.000 Leute) protestieren und beteten friedlich in Jerusalem. Der Verkehr war lahmgelegt. Überall Menschen, vor allem Männer in der typischen Kleidung (siehe Bilder).

Was bisher geschah
Bisher war jeder, der auf einer Jeshiwa, also einer religiösen Schule mindestens 5 Jahre studierte vom Militärdienst befreit. Heißt also, dass die allermeisten Männer aus dem Milieu der Charedim nicht eingezogen wurden, sondern auf diese Schulen gingen. Dazu muss man wissen, dass in diesem Milieu das Torah-Studium das komplette Leben eines Mannes einnimmt, zumindest ist dies das Idealbild. Er geht am besten weder arbeiten noch tut sonst irgendetwas anderes, als allein die Torah zu studieren und die religiösen Gebote, die Mitzwot zu halten. Oftmals ist es daher so, dass die Familien starke finanzielle Probleme haben (obwohl sie vom Start subventioniert werden), gleichzeitig aber nicht selten 8-10 Kinder. Denn jedes Kind gilt als Segen und der Geschlechtsverkehr ohne Verhütung ist religiöse Pflicht.
Frauen haben eine besonders große Last zu tragen. Sie bekommen viele Kinder, schmeißen den Haushalt und gehen am besten noch irgendwo arbeiten.
Der soziale Durck in diesen Gruppierungen ist natürlich groß. Aussteigen ist schwierig. Man sieht die Familie nie wieder, man hat keine Ausbildung, keine sozialen Kontakte mehr usw. Obwohl ich vor kurzem vom einer (deutschen) Freundin hörte, dass Aussteiger schätzen, dass bis zu 1/3 der Charedim eigentlich innerlich nichts oder nur wenig mit all dem anfangen können.
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass sie sowohl vom Militärdienst befreit waren, als auch vom Staat Unterstützung bekommen? Als David Ben Gurion am Anfang des Staates dessen Premierminister war machte er mit den damals etwa 400 Charedim einen Pakt. Sie bekommen die Vorzüge, er ihre Stimmen bei den Wahlen. Im Laufe der Zeit haben diese sich jedoch so stark vermehrt, durch Fortpflanzung und Zuzug von Außen, dass sie mittlerweile mindestens 5-10% des Staates ausmachen. Schließlich klagten fast alle anderen Israelis darüber, dass sich diese Gruppierungen nicht an der Gesellschaft beteiligen und dann auch noch Geld von eben dieser Gesellschaft bekommen.

Soweit so gut. Das neue Kabinett beschloss nun, dass eben auch diese jungen Männer ihren Dienst im Militär ableisten müssen oder ins Gefängnis kommen. Wie das wahrgenommen wird, habe ich mal in 3 Statements kurz zusammengefasst.

Der Charedi (Ultra-Orthodoxe):
Wenn es nach ihm geht, dann ist dieses Gesetz ein Schlag gegen die Religionsfreiheit. Man wird dafür eingesperrt, dass man die jüdischen Schriften studiert, soetwas gibt es sonst nirgends auf der Welt. Und eigentlich sollten dies doch alle jüdischen Männer tun. Damit, dass man die Schriften studiert tut man der Gesellschaft doch eigentlich einen Dienst. Es kann nicht sein, dass ein Staat der sich jüdisch nennt genau gegen dieses Judentum vorgeht.

Die säkulare Freundin, die einst orthodox war:
Das die Charedim unterstützt werden und sich nicht an der Gesellschaft beteiligen geht gar nicht. Gerade die finanzielle Unterstützung kann nicht sein, da das Leben in Israel in finanzieler Hinsicht sowieso schon äußerst schwierig ist und immer mehr junge Leute überlegen auszuwandern. Sie findet, dass Militär und Charedim nicht zusammenpassen, meint aber, dass diese wenigstens einen Sozialdienst machen könnten. (Was wohl bisher nicht im Gesezt vorgesehen ist.) Dabei könnten sie ja sogar religiöse Gebote, Mitzwot erfüllen.

Der säkulare Freund:
Er meint, dass es auf Dauer Ziel der Regierung sei, die Charedim in einen Sozialdienst zu bringen. Das Problem der Rabbiner, die gegen das neue Gesetz zum Protest aufrufen, ist seiner Meinung nach, dass dadurch die Charedim nicht mehr gezwungen sind min. 5 Jahre in die Jeshiwa zu gehen. Vorher waren sie es faktisch, wenn sie eben nicht zum Militär wollten. Viele werden also entweder kürzer oder gar nicht mehr gehen, was den entsprechenden Rabbinern nicht gefällt. (Wobei ich mich bei diesem Punkt frage, warum sie gar nicht mehr gehen sollten, wenn es doch faktisch Lebensgrundlage dieser Leute ist.)

Und wir? Wir machen uns manchmal etwas lustig darüber, weil wir uns fragen, wie man das bitte umsetzen will. Man kann ja schlecht jedes Jahr tausende junge Leute ins Gefängnis werfen. Da kam dann doch noch eine gute Idee auf: Man könnte um die Jeshiwot (Plural von Jeshiwa) ja einfach Zäune ziehen und sie so zu Gefängnissen umwandeln, dann wären doch sicher alle froh. Die einen könnten in Ruhe Torah studieren, die anderen wissen, dass auch die Charedim bestraft werden, weil sie nicht im Militär dienen. ;-)

Typische Kleidung wie im 19.Jh. in Osteuropa. Schwarzer Anzug und Hut. Dazu Schläfenlöckchen (vorne beim Sanitäter) und die Kippa.

Hinten das Zentrum um verlorengegangene Kinder wiederzufinden.


Wir mitten in der Masse. Rechts die Frauen, welche eigene Straßen zugeteilt hatten.
"War against religion." Krieg gegen Religion.



Keine Massenkarambolage, sondern geparkte Autos.