Freitag, 4. Juli 2014

Entführungen, Ermordungen, Erwartungen

Zuerst einmal: Mir geht es gut und ich bin in Sicherheit. Ich passe auf, was ich tue und lasse.

Viele von euch werden es in den letzten Wochen mitbekommen haben. Zunächst wurden drei israelische Jugendliche entführt, dann nahm die israelische Armee einige Häuser, besonders in und um Hebron auseinander, um die Jugendlichen zu finden und Mitglieder der Terrororganisation Hamas festzunehmen. Dann fand man die Jugendlichen tot auf und kurz darauf wurde ein palästinensischer Jugendlicher tot aufgefunden, der vorher offenbar ebenfalls entführt wurde und daraufhin gab es Straßenschlachten in einigen Stadtteilen im (arabischen-)Ost-Jerusalem.
Es ist verrückt, das alles um einen herum mitzubekommen und doch irgendwie nicht davon betroffen zu sein. Es ist verrückt, wie die Entfühung die israelischen Nachrichten und die Gesellschaft die Wochen der Suche in Atem hielt. Und es ist verrückt, was so eine Entführung (die ohne Frage schrecklich ist und grausam und deren Familien Beistand gegeben werden muss und die Täter vor Gericht gestellt gehören, das steht überhaupt nicht zur Diskussion) für ein Echo mindestens in der westlichen Welt auslöst. Viele westliche Staaten verurteilten die Entführung der drei jungen Juden, deren Mütter sogar vor dem UN-Menschenrechtsrat sprachen. Würde das bei anderen Entführungen auch passieren? Ich will das gar nicht werten, es zeigt nur wiedereinmal wie sehr diese Region der Erde im Fokus steht.

Zum Verzweifeln:
Am Tag nach der Auffindung der drei Toten gab es eine Demonstration, nicht weit von meiner Haustür entfernt. Dort skandierten einige sehr rechte Israelis schreckliche Parolen, in denen sie die Tötung von Arabern forderten. Die Polizei nahm mehrere Leute fest oder in Gewahrsam. Im Internet gibt es Bilder, auf denen in Hebräisch steht: "Araber hassen ist kein Rassismus, sondern ein (moralischer) Wert." In Deutschland würde ich mir überlegen, ob ich das nicht zur Anzeige bringe. In Erinnerung an die drei Jungs wurde bereits eine neue Siedlung ausgerufen, wobei ich bei dieser nicht weiß, ob sie legal oder illegal ist. Ich vermute eher Letzteres.
Am Tag nach der Demonstration wurde am Morgen der tote palästinensische Junge gefunden. Viele vermuten, dass es eine Tat extrem rechter Israelis war. Politiker versuchten zu beruhigen, indem sie die Tat verurteilten und Netanjahu forderte alle Seiten dazu auf, das Recht nicht in die eigene Hand zu nehmen. Hoffentlich wird es schnell aufgeklärt und ebenso behandelt, wie der Mord an den drei jungen Juden.
Am gleichen Tag rasten besonders junge Palästinenser in Ost-Jerusalem aus. Vermummen sich, werfen Steine auf die Polizei, zerstören vollkommen die Haltestellen der Straßenbahn. Und im Netz gibt es ein Bild mit dem Slogan: Arabische Mütter sammeln Steine für ihre Kinder (die die dann auf die isralische Polizei werfen). Auch die Bilder von vor mehreren Tagen aus Gaza und anderen Orten von freudigen Palästinensern, als die Entführung der drei bekannt wurde, sind nur zum verzweifeln.

...und zum Bewundern:
Aber es gibt auch Positves, wieder einmal. Das darf nicht untergehen! Sie sind zu bewundern, die Israelis, die auf die Straße gehen, demonstrieren für ein Ende der Gewalt auf allen Seiten. Auch eine solche Demo fand nicht weit von meiner Wohnung statt. Heute soll ebenfalls eine in Tel Aviv sein. Es ist zu bewundern, dass die Mutter einer der drei Jugendlichen nach dem Mord an dem Palätinenser sagt, dass Blut Blut ist und Mord Mord.
Sie sind zu bewundern, die Väter, die sich in Hebron und an anderen Orten versuchen vor ihre Kinder und andere Jugendlich zu stellen, sie anschreien, dass sie aufhören sollen Steine zu werfen oder noch Schlimmeres.
Sie alle sind die wahren Helden dieser Tage und nicht die radikalen auf beiden Seiten, die meinen durch Gewalt stark zu sein und etwas erreichen zu können. Die Welt verändert sich nicht durch Gewalt, Macht und Hass. Sondern durch Demut, mitgetragener Trauer und Barmherzigkeit. Nicht durch das vermeintlich Starke, sondern durch das vermeintlich Schwache. Davon bin ich überzeugt und davon ist der Gott an den ich glaube überzeugt, der uns genau das am Kreuz zeigt. Aber was kann ich schon sagen? Was weiß ich schon vom Leben als reicher und in Sicherheit lebender Europäer? Als einer, der sich noch nie wirklich Gedanken um etwas zu machen brauchte, wie es die Menschen in diesem Land/diesen Ländern tun müssen.

Erwartungen:
Heute ist die Beerdigung des toten arbischen Jungen. Heute ist Freitag, der muslimische Feiertag. Es ist Ramadan, der muslimische Fastenmonat. Alles drei deutet leider darauf hin, dass es heute zu gewaltsamen Aufeinandertreffen von israelischer Polizei/Militär und Jugendlichen Palästinensern kommen wird. Nach Augen- und Ohrenzeugenberichten, die ich aus erster Hand habe, gab es dies auch schon in den letzten Nächten. Es bleibt nur abzuwarten, zu hoffen und zu beten.

Wer mehr wissen will oder das Ganze weiter verfolgen will:
http://blog.br.de/studio-tel-aviv/2014/07/01/liveblog-zur-lage-nach-der-ermordung-der-drei-jugendlichen.html
http://blog.br.de/studio-tel-aviv/2014/07/01/videos-zur-lage-nach-der-ermordung-der-drei-jugendlichen.html

1 Kommentar: